Tag 14 - Du kannst sie nicht alle töten ...
Wie nicht anders zu erwarten war, haben wir beide früh einen Kater. Mir ist wirklich schlecht. Aber es nützt ja wieder nichts, wir müssen weiter. Sachen
gepackt, gefrühstückt und Wasser aufgefüllt. Wir machen uns auf den Weg. Wie meistens nach solchen Abenden geht es in der Früh gleich steil bergauf. So auch heute. Läuft bei mir und meinem eh
schon bescheidenem Befinden. Wir quälen uns die Küstenstraße hinauf und folgen dieser zur nächsten Stadt. Diese ist die wohl hässlichste Stadt der Reise, Lloret de Mar. Eine Stadt, welche für
mich (schon vorher) der absolute Urlaubs-Horror-Supergau wäre. Entlang der Bucht reiht sich eine „Touristenbaracke“ an die andere. So viele riesige Bunker habe ich bisher maximal in Pattaya, in
Thailand, gesehen. Die ganze Stadt ist auf billigen Massen- und Sauftourismus ausgelegt. Dagegen ist Malle wahrscheinlich ein Paradies. Hier Urlaub machen, heißt genau die Menschen zu treffen,
vor denen man von zu Hause in den Urlaub flüchtet. Wie erwähnt, mein Alptraum. Aber wiedermal: jedem das Seine. Allgemein sind auch die an Lloret angrenzenden Ecken nicht sonderlich schön. Aber
irgendwann biegen wir wieder ab und folgen dem Strand. In Malgrat de Mar stoppen wir für eine Pause, essen etwas und trinken ein Konterbier, nachdem es mir dann deutlich besser geht. Der Ort
wirkt wie aus einer längst vergangenen Zeit. Reste des „80er Jahre – Charmes“ sind noch überall zu sehen. Irgendwie ziemlich trist, aber für mein Befinden tausend mal besser als Lloret. Trotzdem
sind wir uns einig, dass keiner von uns beiden hier wohl Urlaub machen würde.
Bestätigt wird das Ganze auch, als wir weiterfahren. Denn direkt neben Strand und Radweg befindet sich eine gut befahrene Bahnlinie, dahinter die
Straße, an deren Rand ein „Touri- Bunker“ an den anderen grenzt. Bei diesen Hotels hat man also Straßen-, Schienen- und Meerblick in einem. Diese bizarre Szenerie zieht sich so im Großen und
Ganzen bis zu unserem heutigen Bestimmungsort, Canet de Mar. So geht es Urlaubsort um Urlaubsort in Richtung unseres Nachtquartiers. Wir haben mittels Google Maps den am besten bewerteten
Zeltplatz der Umgebung ausfindig gemacht und steuern diesen direkt an. Wir sind zwar nur 43 Kilometer gefahren, aber Hitze und Entfernung zum nächsten Zeltplatz zwingen uns dazu, diesen zu
nehmen. Aber hat ja gute Bewertungen, also was soll schon passieren? Der Besitzer ist sehr nett und weist uns einen Platz unterhalb des Pools zu. Wir bauen die Zelte auf und wollen erst mal
relaxen. Wir setzen uns an den Poolbereich und trinken etwas. Wir stellen fest, dass wir auf einem Zeltplatz gelandet sind, welcher komplett in holländischer Hand ist - mit Ausnahme einer
Gruppe spanischer Kinder. Aber was für ne Freakshow! Wir amüsieren uns köstlich, da die Hälfte der Holländer schon gut einen sitzen hat. Dauercamper sind schon auch ein eigenes Volk. Witzig.
Ich beschließe, in den zwei Kilometer entfernten Supermarkt zu laufen, um uns Abendbrot zu besorgen. Und so sitzen wir wenig später bei Wein, Brot, Aufschnitt, Humus und Obst gemütlich an
unserem Schlafplatz. Wir labern und hören Podcast. Gegen neun wird die Gruppe spanischer Kinder aktiv. Sie tollen, rennen und schreien umher. Kein Problem, bleiben wir noch ne Weile sitzen
und trinken noch ein Bier, denken wir.
Es wird zehn, es wird elf, es wird zwölf, doch die Situation ändert sich nicht. Mario hat sich schon vor einer halben Stunde hingelegt und versucht, zu schlafen. Ich habe noch die Hoffnung, dass vielleicht kurz nach zwölf der Betreuer kommt und die Kinder dazu bringt, schlafen zu gehen. Weit gefehlt, noch stört sich niemand an dem lauten Geschrei. Undenkbar auf einem deutschen Zeltplatz. Ich lege mich auch hin und hoffe, dass es die älteren Holländer zeitversetzt einem deutschen Rentner gleichtun werden und die Kids zur Räson bringen werden. Aber auch hier, weit gefehlt. Im Gegenteil. Die Kids entdecken meine „Dackelgarage“ und haben so was wohl noch nie gesehen. Da sie im Dunkeln nicht auszumachen können, ob jemand darin liegt, schleichen sie sich langsam an mich und mein Zelt heran. Ich beobachte das und fauche sie, einen Meter vorm Erreichen meines Zeltes, mit einem „Fuck off...“ an. Auch Mario erwacht aus seinem Halbschlaf und ist zunehmend ungehalten. Die Kinder erschrecken sich total. Was allerdings nicht heißt, das sie jetzt damit aufhören. Immer wieder versucht der ein oder andere spanische Halbstarke sich vor den Mädels der Gruppe zu beweisen, in dem er zeigt, wie weit er sich an mein Zelt heran traut. Irgendwann platzt mir der Arsch und schreie den vermeintlich mutigen mit fünf englischen Wörtern, von denen drei mit F beginnen, an. Fuck off, you fucking Fuck! Kurz überlege ich noch, ob die Erfahrung meiner Armeezeit nutzen sollte, um mich auf die selbe Art zu rächen. Doch die F-Worte haben Wirkung gezeigt und wahrscheinlich sogar die bisher nicht auffindbaren Betreuer geweckt. Problem gelöst. Es ist bereits 2.00 Uhr! Endlich schlafen. Doch Pustekuchen, jetzt beginnt der Hausmeister doch tatsächlich den Pool mit einem Kärcher zu reinigen. What the f...! Diesen anzuschreien wäre allerdings nicht richtig, da dieser die wahrscheinlich ärmste Sau am Platz ist. Er trägt alte, abgetragene Klamotten und wohnt in einem heruntergekommenen Wohnwagen. Ich beschließe mich der Situation zu fügen und schlafe tatsächlich gegen 3.30 Uhr ein.
Tag 15 - Beach, Beer and no Chaos
Was für eine Nacht. Sichtlich unausgeschlafen und angepisst schälen wir uns aus unseren Zelten. Nochmal kurz denken wir darüber nach, uns bei den Kids
zu revanchieren, was aber wahrscheinlich nur Ärger gäbe. Also trinken wir Kaffee, packen und verlassen diesen freaky Platz. Leicht gerädert fahren wir heute unserem Endziel Barcelona
entgegen. Es geht anfangs immer am Strand entlang. Rechts ist immer noch die Bahnlinie, welche sich auch so bis Barcelona zieht. Schon bald sehen wir die Ausläufer der Stadt am Horizont.
Etwas aufgeregt sind wir schon, jetzt wo das Ziel zum Greifen nahe ist. Immer wieder müssen wir Unterführungen durchfahren, kurz auf die Straße wechseln, um dann wieder durch eine
Unterführung zurück zum Strand zu gelangen. Wir durchqueren gefühlte 50 dieser Unterführungen. Der Verkehr wird zunehmend dichter und auch die Strände füllen sich mehr und mehr, je näher wir
Barcelona kommen. Aufgrund des wenigen Schlafs und der Hitze stoppen wir immer mal wieder kurz. Auch die Anzahl der Graffitis nimmt deutlich zu. Ich mag dieses „roughe“ Urbane. Hier gäbe es
tausend Fotomotive. Aber wir sind ja „auf Radtour“ und nicht nur zum Knipsen hier. In Badalona, einem Vorort von Barcelona, machen wir Pause und essen. In Badalona findet jedes Jahr das
„Beach, Beer und Chaos“ - Festival statt, welches aber aufgrund von Covid schon zum zweiten Mal nicht stattfinden kann. Also nur Beach und Beer für uns, aber Chaos hatten wir eh ja letzte
Nacht schon.
Völlig unspektakulär erreichen wir kurze Zeit später unser 53 Kilometer entferntes Reiseziel. Zwar fahren wir durch eine Reihe von Hochhäusern, aber irgendwie hatte ich mir das anderes vorgestellt. Aber was sollte schon passieren? Begrüßungsgeld? `Ne Blaskapelle? Nein. Es gibt ein gewöhnliches Bier am Strand. Aber eben am Strand von Barcelona. Scheiße man, wir sind in f... Barcelona. Und wir sind mit dem scheiß Rad hier her gefahren! So richtig realisieren wir das aber in dem Moment gar nicht. Jetzt genau fühlt es sich einfach nur so an, wie die Tagesziele der vergangenen Tage. Wir setzen uns wieder auf´s Rad und machen uns auf den Weg zur Kathedrale Sagrada Família. Dabei werde ich vor lauter Träumerei fast von einem Bus erfasst, weil wir beide das Signal am Rand des Radwegs übersehen haben. Puh, das war echt knapp! Mit doppelter Aufmerksamkeit legen wir die letzten zwei Kilometer zur Kathedrale zurück. Dort angekommen machen wir zwei, drei Bilder und holen uns erneut im Supermarkt Bier. Auf einer Bank lassen wir uns nieder, öffnen das Bier und kumpeln ab. Jetzt kommt es langsam. Das Bewusstsein, dass wir am Ziel sind. Yes man, wir haben es geschafft. Glücklich setzten wir uns auf´s Rad und strampeln zum gebuchten Hotel. Vor Ort müssen wir die Räder mühsam durch einen engen Treppenaufgang in den zweiten Stock hieven. Sicher ist sicher, nicht, dass sie geklaut werden!
Im Zimmer wartet, obwohl vorher ausdrücklich anders gewünscht, ein Doppelbett auf uns. Na was soll´s, die eine Nacht wird es schon irgendwie gehen. Der weitere Abend ist nicht sonderlich ereignisreich. Wir gehen noch Essen und enden mit Kaltgetränken auf unserem kleinen Balkon.
Tag 16 - Flixbus des Grauens
Wir hatten vorab alle Möglichkeiten der Rückreise gecheckt, und wären eigentlich liebend gern mit der Fähre nach Genua übergesetzt, um von da aus mit dem Rad nach San Remo zu fahren. Aber leider ist die Verbindung an den uns möglichen Tagen nicht verfügbar. Die Zugverbindung ist recht teuer und so freuen wir uns, mit Flixbus eine kostengünstige Alternative gefunden zu haben. Schließlich hatte ich in Deutschland damit bisher nur positive Erfahrungen. Wir verlassen das Hotel mit deutscher Pünktlichkeit, kurz nach Acht, um rechtzeitig am Bahnhof zu sein und den zu 9.45 Uhr gebuchten Bus nach Nizza nicht zu verpassen. Wir wollen bis Nizza fahren, irgendwo pennen und am nächsten Morgen von da aus nach San Remo radeln, um noch einen schönen „Abschlusstag“ zu haben. Wir kommen am Bahnhof an, trinken einen Kaffee und holen uns noch einen Snack für unterwegs. Aber nicht zu viel davon, schließlich wirbt Flixbus neben WIFI und Strom auch mit Snacks, welche man an Board erwerben kann. Gegen 9.30 Uhr fährt unser Bus in den Bahnhof ein. Der Busfahrer schüttelt allerdings den Kopf, als er unsere Fahrräder sieht. Als er aussteigt, gibt er uns in schlechtem Englisch, zu verstehen, dass er keinen Räder mitnehme. Ich sage ihm, dass das nicht mein Problem sei, schließlich haben wir „mit Fahrrad“ gebucht. Sein Kollege fängt an, zu diskutieren und sagt, dass sei unser Problem. So geht es kurz hin und her, bis ich zunehmend lauter werde. In einem mit F- Wörtern durchzogen Wortgemenge gebe ich ihm lautstark zu verstehen, dass das durchaus sein Problem sei und ich mich gern sofort an Flixbus wenden kann. Sein Kollege lenkt schließlich ein und sagt, wir sollen die Bikes unten im Gepäckraum verstauen, da sie natürlich keinen Fahrradträger am Bus haben. Irgendwie bekommen wir die Räder dann aber halbwegs sicher verstaut. Frechheit, denke ich und bin immer noch etwas in Rage. Wir steigen in den relativ leeren Bus und fahren los. Das angepriesene WIFI, was außen am Bus groß beworben wird, gibt es allerdings nicht. Ebensowenig Strom. Und obendrein erweist sich die im Bus befindliche Toilette als abgeschlossen. Vielleicht sind das einfach Banditen, die nen Bus grün angemalt haben, um uns zu kidnappen und dann Lösegeld zu fordern, denke ich. Oder vielleicht auch einfach nur Vollidioten. Egal.
Nach zwei Stunden stoppen wir an einer Raststätte für 20 Minuten. Ich kaufe etwas zu Essen, ein kleines Wasser und eine Tüte Chips. Gott sei Dank habe ich in weiser Voraussicht auf das Pinkelproblem kein Bier gekauft. Denn wir werden ab jetzt in den verbleibenden 8 Stunden Reisezeit noch drei Mal á fünf Minuten zum Pinkeln halten, wobei der dritte Stopp schon unsere Endstation darstellt. Und trotz Stopps in Montpellier und Marseille haben wir keine Chance, den Bus zu verlassen, zu pinkeln oder gar etwas zu Essen zu kaufen. Das ist der Gipfel. Und ich werde am Ende des Tages die zweite Rezession meines Lebens schreiben. Ich hoffe man kann auch mit null Sternen bewerten. Irgendwann gegen 20.00 Uhr, mit einer Stunde Verspätung, endet dieses Martyrium am Flughafen von Nizza. Wir sind wirklich froh, aus diesem, seit Marseille auch gut gefüllten grünen Gefängnis, aussteigen zu können. Schnell die Räder raus, Sachen ran bauen und bloß weg. Mario navigiert uns wie gewohnt zuverlässig aus dem Flughafengelände. Und kurze Zeit später radeln wir im Sonnenuntergang die Promenade von Nizza entlang. Wow. Was für eine unbeschreibliche Atmosphäre. Die Stadt ist gut gefüllt und Corona scheint nicht mehr zu existieren. Egal, wir sind mega hungrig. Wir wollen nicht weiter suchen und nehmen eines der ersten Restaurants. Ein halber Liter Bier kostet stattliche 7,50 Euro, aber das Essen ist nicht zu teuer. Im Vergleich zu den Anderen, sind wir etwas underdressed mit unseren verschwitzen, von der Sonne ausgeblichenen, alten Klamotten. Aber das ist uns Wurst. Das Essen ist gut und wir können uns kurz darauf frisch gestärkt wieder auf´s Bike schwingen. In einem kleinen Laden holen wir uns noch eine Flasche Wein. Die erneute Fahrt entlang der Promenade ist unglaublich schön. Beflügelt von diesem Gefühl radeln wir durch Nizza und die folgenden kleinen Orte. Via Komoot finden wir einen Platz, der sich durchaus zum wild campen eignen könnte. Über Treppenstufen geht es hinunter an eine kleine Bucht. Wir sind zwar umgeben von Häusern, aber der Ort eignet sich tatsächlich zum campen. Die Zelte sind schnell aufgebaut und die Flasche Wein offen. Ich persönlich denke ja bis heute, dass wir an irgendeinem Privatstrand reicher Leute sitzen bzw. saßen, aber scheiß drauf. Eat the rich! Nach drei Wein schlafen wir irgendwann schlafen Vollmond und Meeresrauschen ein.
Tag 17 - … und die Moral von der Geschicht´... ein Rad da, das andere nicht!
Was für ´ne erneute Kack-Nacht. Trotz der herrlichen Abendstimmung habe ich beschissen geschlafen. Wir hatten nur Isomatten und Schlafsack ausgepackt.
Ich lag leicht abschüssig und bin die ganze Nacht immer wieder fast von dem natürlichen Podest, auf dem wir lagen, gerollt. Noch dazu lagen wir in einer Mischung aus Stroh und getrocknetem
Taubenkot. Irgendwann bin ich zwar eingepennt, aber guter Schlaf ist was anderes. Geweckt von einer Möwe, welche völlig unbeeindruckt einen Meter neben mir sitzt und mich blöde anglotzt,
stehe ich auf. Drei Stunden Schlaf sind genug, hust. Ich entledige mich meiner Kleidung und nehme ein ausgiebiges Bad im Meer. Egal wie kacke die Nacht war, das hier ist gerade unbezahlbar.
Nach dem Bad erwacht auch Mario und er tut es mir gleich. Um die Ecke unseres Schlafplatz finden wir sogar eine kleine Dusche. So können wir uns wenigstens richtig frisch machen. Danach
packen wir und brechen auf, die letzte 45 Kilometer bis San Remo abzureißen. Die Morgenstimmung ist überwältigend und die Fahrt in dieses Richtung eröffnet nochmal eine komplett andere
Sichtwiese. Ein Mix aus spektakulärer Landschaft, schönen Buchten und Promenaden. Einzig der Verkehr nervt wieder. So geht es auf Teilen der Formel 1 - Strecke durch Monaco, immer auf und ab,
der Küstenstraße entlang. Auf andere Experimente, bspw. kleine Wege, haben wir keine Lust mehr.
Kurz vor San Remo nehmen wir noch ein, zwei Kaltgetränke zu uns und schmieden eine Plan. Wir wollen uns, in San Remo angekommen, nochmal an den Strand
legen, um etwas Schlaf nachzuholen. Danach wollen wir das Auto holen, welches noch in San Remo geparkt ist. Dann bis kurz vor Mailand fahren, um es tags darauf nicht so weit zu haben. Also
radel wir in die Stadt und steuern die Strände dieser an. Wir wollen jedes Mal mit den Bikes an den Strand, werden jedoch überall mit der Aussage: „No Bikes here!“ verwiesen. Irgendwann haben
wir es satt und wir entscheiden, das Auto aus dem Parkhaus zu holen, die Räder auf den Thule-Dachgepäckträger zu schnallen und das Auto an der Promenade zu parken. Schließlich sind die Räder
so abgeschlossen und es wäre auch schon alles verpackt. Gesagt, getan. 30 Minuten später parken wir das Auto, ich löse eine Parkschein für zwei Stunden und wir gehen zum Strand. Unser Plan
geht auf. Wir dösen beide noch für mehr als eine Stunde weg. Etwas ausgeruhter sind wir bereit, zu starten. Ich gehe vor, weil ich noch was zu Essen holen will. Ich komme am Auto an und bin
wie gelähmt als ich die Tür öffne und mir die Hitze entgegen schlägt. Den eigentlichen Schlag bekomme ich allerdings erst, als Mario kommt und mich fragt: „Wo ist denn dein Fahrrad?“ Die Knie
werden weich als ich sehe, dass mein Fahrrad sich nicht mehr auf dem Dach befindet. Ich denke, dass das nicht wahr sein darf. Aber tatsächlich fehlt mein Rad. Am Dachgepäckträger, welcher
definitiv abgeschlossen war, ist nichts zu sehen. Das Schloss sieht aus wie aufgeschlossen. Das waren definitiv Profis, welche das nicht zum ersten Mal gemacht haben. Verzweiflung macht sich
breit. Doch mehr als es der Polizei zu melden, können wir nicht mehr machen. Unglaublich. Da fährst du knapp 1000 Kilometer mit dem Rad, übernachtest fast nur im Freien, hast das Rad nie
abgeschlossen und dann wird es dir eine Stunde vor Abreise, am helllichten Tag, vom abgeschlossenen Dachgepäckträger runter geklaut. Völlig bedient fahren wir zur Polizei. Der Polizist ist
nett und bemüht. Aber allein die Tatsache, dass er nicht einmal die Rahmennummer des Rades in den Bericht aufnimmt, macht mir klar, dass ich das Rad abschreiben kann. Klar könnten wir jetzt
drei Stunden durch die Stadt fahren und versuchen, es zu finden. Das gleicht aber der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Und da es ganz sicher Profis waren, wird es wohl nicht
irgendwo in der Öffentlichkeit stehen. Ich muss mich also damit abfinden, dass ich kein Fahrrad mehr habe.
Wir machen uns auf den Weg zur gebuchten Unterkunft bei Mailand. Die Stimmung im Auto ist natürlich gedämpft nach dem Vorfall und so reden wir auf der Fahrt nicht viel.
Zwei Stunden später kommen wir in einem Kaff, dessen Namen ich nicht mehr weiß, mitten in der italienischen Provinz an. Unser gebuchtes Hotel ist etwas aus der Zeit gefallen und könnte gut und gern als 80er-Jahre-Museum durchgehen. Ist mir alles Wurst. Ich will nur noch essen, trinken und schlafen. Rings um das Hotel, welches im Zentrum dieses Kaffs ist, sind Tische aufgebaut und gegenüber steht eine Bühne. Es ist Dorffest und von der Bühne trällern die „italienischen Santianos“ ihre vermeintlichen Rockhits. Die Dorfprominenz hat sich versammelt und der ein oder andere hat sogar sein verstaubtes Deep Purple T-Shirt hervorgekramt. Noch dazu werde ich von Mücken zerfressen. Das sind jetzt genug Gründe für mich „format_c:“ zu begehen. Davon hält mich heute auch der happige Bierpreis von 5 Euro nicht ab. Mario gesellt sich kurz zu mir, trinkt zwei, drei Bier mit und legt sich dann schlafen. Bier für Bier nähere ich meinem für heute Abend veranschlagtem Ziel. Irgendwann löst sich die Veranstaltung auf und ich habe auch mein Ziel erreicht. Ich wanke auf´s Zimmer. Dort liegt Mario. Einen halben Meter neben seinem Bett bläst und rattert die Klimaanlage, welche wir einschalten mussten, da Fenster öffnen aufgrund der Mückenplage nicht möglich ist. Sie rattert ihm mit ca. 110 dB Vollgas ins Gesicht. Ich muss schmunzel. Ich lege mich hin und schlafe sofort ein....
Fazit:
Tja, was soll ich schreiben. Eine wunderschöne Reise endet mit einem beschissenen Erlebnis. Knapp 1000 gefahrene Kilometer auf denen, abgesehen von den Platten und meiner Beinahe-Kollision mit dem Bus, bis zum Schluss keine Unfälle oder ernstzunehmende Schäden passiert sind. Und da wo man es am wenigsten erwartet, passiert dann so was. Und keine Versicherung zahlt auch nur irgendeinen Cent, wenn man das Rad nicht extra versichert.
Aber was soll`s, alles Jammern bringt das Rad auch nicht wieder zurück. Möge den Dieb der Blitz beim Scheißen treffen! Und zum Glück ist es auch „wenigstens“ erst am Ende passiert. So hatten wir trotz allem eine wunderschöne Reise, voll von unbezahlbaren Erfahrungen und Erinnerungen, die ein Leben lang bleiben. Und das geklaute Rad eines Westeuropäers zählt, verglichen mit den Problemen, die Menschen anderswo auf der Welt haben, definitiv zu „1st world problems“. Ärgerlich, aber eben ersetzbar. Wichtig ist, am Ende das Erlebte und die Möglichkeit, das Ganze überhaupt erleben zu dürfen. Amen ;)
In diesem Sinne...
Euer Kuckuck
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