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Ohne E zur Ostsee

16.06.22

 

Auf zum zweiten Teil meines Punk`n´Gravel-Sommers. Der Plan war eigentlich bei dieser Tour vom Erzgebirge nach Münster zu fahren. Aber vor einigen Woche hat mich dann ein Bekannter gefragt, ob ich seine Hochzeit fotografieren könnte. Auf Rügen, am 22.06.22. Hmmm ok, dann Planänderung, auf zur Ostsee und danach mit dem Zug nach Münster. Gesagt, getan. Ich buche sicherheitshalber schon mal den Zug von Stralsund nach Münster, was sich als cleverer move herausstellen wird. 

Wieder habe ich am Vorabend grob gepackt. Diesmal ist es etwas anspruchsvoller, da ich jetzt auch Zelt, Isomatte und Schlafsack noch unterbringen muss. Aber mit ein wenig tüfteln und einer Reduktion auf das Wesentliche funktioniert es ganz gut. Das erste Stück werde ich wieder "cheaten" und den Zug benutzen. Schließlich geht es mir nicht um Kilometeranzahl, Pace und den ganzen Bullshit, sondern um die Reise an sich. Und den ersten Teil bis Markleeberg kenne ich fast schon komplett. 

Ich komme erst gegen Mittag los. Hat den Vorteil, dass der Berufsverkehr schon durch ist. Über Zwickau fahre ich mit der Bahn bis Markleeberg. Tagesziel ist die Lutherstadt Wittenberg. In Markleeberg angekommen, führt mich mein Weg entlang der Kanäle nach Leipzig Connewitz und Plagwitz. Es geht vorbei an der Red Bull Arena, weiter durch Altlindenau und Wahren. Ab dort ist es auch wieder ländlicher, was ich als deutlich stressfreier empfinde. Weiter geht es durch die nordsächsische Einöde mit ihren Baggerseen, bis nach Delitzsch. Vielleicht findet der ein oder andere diese Landschaft toll. Aber ich bin wahrscheinlich etwas verwöhnter, was das angeht. Ich verstehe auf jeden Fall nicht, wie man in so einer Einöde, wie ich sie auf dem Weg nach Delitzsch durchfahre, auf so „grandiose“ Liedtexte wie „der Osten rockt“ kommen kann. Das Einzige was hier rockt, ist die Geschwindigkeit, mit der ich diesen Flecken Erde hinter mir lasse.

 

Kurz darauf meldet sich mein Hunger. Aber mehr als Pommes und Bier als vegane Köstlichkeit hat dieser Landstrich eben auch nicht zu bieten. Aber egal, reicht für´s Erste. Nächste Station ist Gräfenhainichen, mit seiner Stadt aus Eisen, wo in einer Woche das jährlich Full Force Festival stattfinden wird. Ich hatte kurz überlegt, dieses zu besuchen, hab mich aber für dieses Jahr dann doch anders entschieden. 

Ich komme hier im Flachland mal wieder sehr schnell voran. Bis Gräfenhainichen habe ich schon 70 Kilometer hinter mich gebracht. Und auch die folgenden knapp dreißig bringe ich schnell und ohne viele Besonderheiten hinter mich. Gegen sieben erreiche ich Wittenberg. Für heute habe ich ein Hotel gebucht, welches im Stadtzentrum liegt. Wittenberg ist wirklich schön. Aber es ist fast nix los. Verglichen mit Bamberg letzte Woche ist das hier Totentanz. Ein ostdeutsches Phänomen, welches ich von daheim kenne. Der Kleinstadt-Ossi ist eher Fan von „Geiz ist Geil“ und geht nicht so oft aus. Aber so ist das eben. Ich suche mir ein Restaurant um die Ecke, wo ich einen sehr leckeren veganen Burger esse. Neben mir sitzt ein älterer Herr aus Stuttgart, mit dem ich ins Gespräch komme. Er ist auch mit dem Rad unterwegs und fährt den kompletten Elberadweg, von Hamburg bis Prag. Er ist wirklich nett, hört aber nicht mehr auf zu reden. Ich muss mich irgendwann mit einer Notlüge davon mogeln, bevor ich neben ihm einpenne. So verpisse ich mich relativ zeitig ins Hotel und gehe schlafen. 99,5 km und 800 Hm.


17.06.22

 

Ich komme recht spät in die Gänge und verlasse nach einem kurzen Frühstück Wittenberg später als gedacht. Allgemein fühlen sich die ersten Kilometer etwas holprig an. Noch dazu geht es entlang der B2 und ich frage mich, ob das heute den ganzen Tag so geht. Aber irgendwann verlasse ich die Bundesstraße und der Spaß kommt langsam zurück. Es ist auch hier nicht sonderlich spektakulär.  Aber ich mache wieder gut Meter. Das ist gut so, denn ich will es heute bis kurz vor Falkensee, oberhalb der Havel, schaffen. Das sollte aber hier möglich sein. Es ist flach und zu fotografieren gibt es hier auch nicht sonderlich viel. Erst wieder in Potsdam. Das Havelland um Potsdam herum ist das schon ´ne ganze Ecke schöner als das Nordsachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg von gestern und heute. Ich stoppe an der Havel für eine ostdeutsche vegan Pause, sprich: wieder Pommes und Bier. Danach nehme ich die Fähre auf die andere Seite und radle weiter die Havel hinauf nach Potsdam. Eine schöne Stadt, welche ich allerdings nur kurz ansteuere, weil ich mein Tagesziel gern früh erreichen möchte. Nach der Stadt wird es wieder ostdeutsch und ländlich.

 

Die meisten Orte hier enden mit “...ow“ und besitzen eine gepflasterte Hauptstraße, welche an den Seitenrändern abfällt. Gefühlt alle sind tätowiert und können wahrscheinlich den Liedtext von „der Osten rockt“ im Schlaf mitsingen. Vor allem in Wustermark habe ich das Gefühl, eine Zeitreise in die Neunziger zu machen. Eigentlich wollte ich mich mit meinem asiatischen Essen, welches ich mir hier geholt habe, auf den Marktplatz setzen und dieses verspeisen. Aber da sitzen mir zu viele bizarre, betrunkene Gestalten umher. Ich ziehe es vor, ein Stück raus aus dem Ort zu fahren, wo ich eine Bushaltestelle finde, an der ich meine Mahlzeit verzehre. Bis zum Zeltplatz, auf dem ich heute Nacht bleiben werde, sind es nur noch einige wenige Kilometer. Und so mache ich mich nach dem Essen auf den Weg dahin. Ich hatte mich vorab telefonisch versichert, dass es noch Platz für mich und mein Zelt gibt. Das klappt alles wunderbar und der Betreiber mit seiner Berliner Schnauze und seinem Humor rückt mein kurz zuvor entstandenes „Brandenburg-Bild“ wieder zurecht. Ich erwerbe noch zwei Kaltgetränke und komme nach dem Aufbau meines Zeltes mit meinem Platznachbarn ins Gespräch, welcher mit dem Motorrad unterwegs ist. Er hat gerade 8000 km durch Norwegen und Schweden hinter sich. Dementsprechend kurzweilig ist unsere Unterhaltung. Kurze Zeit später lege ich mich ins Zelt. Mein größtes Highlight am heutigen Tag sind die 106 gefahren Kilometer, welche aber wirklich nicht sonderlich spektakulär waren. 


18.06.22

 

Die Nacht im Zelt war echt ok. Aber trotzdem bin ich recht früh wach, und beschließe meinen Krempel zusammen zu packen und mich auf den Weg zu machen. Ich fahre ca. zehn Kilometer, suche vergeblich einen Bäcker, bevor ich schlussendlich eine Tanke erreiche, an der ich einen Kaffee trinke und ein Brötchen esse. Ein veganes Paradies wird der ländliche Osten wohl eher nie werden. Mit meiner super Stärkung nehme ich die heutige Etappe in Angriff. Ich habe vor, bis zur Müritz, oder zumindest in die Nähe dieser zu kommen. Wie immer ist auch diese Tagesetappe nur grob geplant und kann sich jederzeit ändern. 

Es ist sehr warm. Und nach anfänglich gar nicht so hässlichen Landstrichen, stellt sich Brandenburger Tristesse ein. Aber ich habe nix anderes erwartet. Ich glaube auch, dass es hier mehr Windräder als Einwohner gibt. Ziemlich sicher. Ich folge auch hier wieder einige Kilometer der Bundesstraße, was mich zusätzlich nervt. Zum Glück hält sich der Verkehr in Grenzen. So passiere ich Dorf um Dorf. Irgendwann verlasse ich die Bundesstraße und habe die Ehre, die brandenburgischen Pflasterstraßen kennenzulernen. Das ist so ziemlich das Nervigste, was man mit einem bepackten Gravelbike fahren kann. Und selbst der angrenzende Fußweg geht eher als Singletrail mit Hindernissen durch. Die gute „Frau Komoot“ leitet mich aber glücklicherweise irgendwann auch wieder aus dieser Pampa hinaus auf richtige Radwege. Die gehen zwar ewig geradeaus, sind aber deutlich stressfreier zu befahren als die vorherigen Pisten. Vorbei an alten Häusern und Bauernhöfen nähere ich mich Fehrbellin, wo ich zu Mittag esse. 

 

Mein weiterer Weg führt mich nach Neuruppin. Die Stadt ist gemütlich und ich lasse mich auf einen Kaffee nieder. Dabei beschließe ich wieder ein Stück Zug zu fahren, um kurz Abwechslung zu haben. So fahre ich nach dem Kaffee zum Bahnhof von Neuruppin und steige in den Zug nach Wittstock. Ich will 40 Kilometer abkürzen, da ich sonst heute ca. 140 km Strecke machen müsste. Und wie gesagt, die kurze Abwechslung tut auch gut. In Wittstock schwinge ich mich wieder auf meinen Drahtesel und strample Richtung Müritz. Bei einem Boxenstopp mit Kaltgetränk bekomme ich von einem Einheimischen einen Tipp für einen Campingplatz. Den nehme ich gern an und mache mich auf den Weg dahin. Der Platz ist am untersten Zipfel der Müritz gelegen, direkt am Wasser. Ich bekomme noch einen Platz und auch die Gaststätte ist noch geöffnet. Schnell baue ich mein Zelt auf, mache mich frisch und gehe etwas essen. Danach gönne ich mir am Ufer noch ein Kaltgetränk in der warmen Abendsonne. Jedoch bringen mich die Mücken dazu, nicht ewig zu sitzen. Und so ziehe ich es vor, mich ins Zelt zu begeben und den Tag zu beenden. 95 km und 550 Hm.

 


19.06.22

 

Der Großteil des Campingplatzes schläft noch, als ich mein Zelt abbaue und mein Rad belade. Es ist gerade einmal 8.00 Uhr als ich mit allem fertig bin und starte. Erstes Ziel für heute ist Wahren an der Müritz. Dazu muss ich rechts um den Müritzsee herum und durchquere dabei den Nationalpark. Hier ist es wirklich traumhaft schön. Vor Allem weil ich so zeitig bin. Immer wieder erhasche ich Ausblicke auf den stillen See. An einem Aussichtspunkt bleibe ich eine Weile sitzen und genieße die Ruhe und den Ausblick. Kurz darauf schwinge ich mich wieder in den Sattel und fahre weiter. Über kleine Wege, entlang an einem kleinen Bach komme ich meinem Zwischenziel Wahren näher. Wahren ist ein typischer Touristenort. Es gibt eine Promenade, zahlreiche überteuerte Restaurants und viel zu viele Menschen für meinen Geschmack. Noch dazu lande ich in einem Restaurant, in dem die Bedienung echt unfreundlich ist. Ich weiß, warum ich solche Orte gern meide. Aber naja, ich finde am Ende wenigsten ein veganes Frühstück und kann Geld abheben gehen. Nicht unbedingt traurig verlasse ich die trotzdem schöne Stadt und radle weiter. Hinter der Müritz hinauf Richtung Küste beginnt die Mecklenburger Einöde, welcher der Brandenburger Einöde in nichts nachsteht. Im Gegenteil. Die Straßen werden noch runder und die Pflastersteine noch grober. Selbst zum Werfen bei den Chaostagen wäre dieses sch... Pflaster unbrauchbar und zu schwer. Am Straßenrand stehen reihenweise verfallene Häuser. 

 

Auch das Fahren ist heute beschwerlich. Immer wieder habe ich Gegenwind. Manchmal schaffe ich geradeso 10 km/h. Obendrein ist es unerwartet hügelig. Damit habe ich so gar nicht gerechnet. Und auf Dauer machen mich diese beiden Komponenten müde. Vorsichtshalber werfe ich einen Blick auf die Karte, um zu schauen, wo hier der nächste Zug fährt. Dafür muss ich jedoch noch einige Kilometer strampeln. Zu allem Überfluss setzt jetzt noch Regen ein. Nicht sehr viel, aber genügend, um die Regenjacke auspacken zu müssen. Als ich dann von der Komoot-Bitch noch auf einen Weg geleitet werde, welcher den Ausdruck „Gravel Path“ wirklich verdient hat, reicht es mir. Ich habe es satt. Ich stelle das Rad ab, will Pinkeln gehen und eine kleine Pause machen. Jedoch fällt mich beim Pinkel das zweite Bataillon der mecklenburgischen Mückenarmee an, und ich habe meine liebe Mühe mich beim Rückzug nicht anzupissen. Schnell schwinge ich mich auf´s Rad und fahre fluchend davon. Ich schimpfe wie ein Rohrspatz vor mich hin. Aber Stehenbleiben ist hier nicht. Vorteil, ich nähere mich schneller als ich wollte dem nächsten Bahnhof. An diesem trostlosen Ort kann ich mich wenigstens unterstellen und auf den Zug nach Rostock warten. Ich nehme definitiv den Zug, da mich Regen, Hügel und Gegenwind echt geschafft haben. Ich bin froh, als ich in den Zug steige, einen Platz für mein Rad finde und mal kurz die Augen schließen kann. Ungefähr eine halbe Stunde später erreiche ich Rostock. Ich habe von unterwegs ein Hotel gebucht. Ich bin wirklich durch und möchte heute vernünftig schlafen. Ich eiere die fünf Kilometer bis zur Unterkunft durch die City. Für Umgebung und co. habe ich keinen Nerv mehr heute. Ich erreiche die Unterkunft. Von hier aus sind es nur noch drei Kilometer bis zur Ostsee. Ich habe aber so gar keinen Bock mehr. Ich schließe mein Rad in den Schuppen am Haus ein und genehmige mir erst einmal eine warme Dusche. Danach bestelle ich mir via Lieferando eine riesige Pizza. Frisch geduscht und gestärkt fühle ich mich wieder deutlich besser. Ich lasse mich noch etwas vom Fernseher berieseln und schlafe alsbald ein. 112 km und 950 Hm. 

 


20.06.22

 

Mit Rückenschmerzen beginnt der Morgen. Aber bei dieser durchgelegenen Matratze ist das kein Wunder. Ich laufe zum nahe gelegenen Nettomarkt, um mir Frühstück zu besorgen. Das Angebot für Menschen mit meiner „Essstörung“ macht es wirklich manchmal zu einer Challenge, etwas zu finden. Da bleibt mal wieder nur Hummus mit Paprika. Naja, verliere ich wenigstens nicht zu viel Zeit. Ich packe meine Sachen, und belade das Rad wieder. Dann geht es los Richtung Küste. Diese ist wirklich nur einen Katzensprung entfernt. Ich freue mich trotzdem wie ein Schnitzel, das ich es geschafft habe. Der Geruch, das Rauschen und die Möwen treiben mir ein breites Grinsen ins Gesicht. Vergessen sind die Strapazen von gestern. 

Das nächste Ziel für heute ist Zingst. Beziehungsweise ein Zeltplatz unterhalb von Zingst, den ich mir auf der Karte ausgesucht habe. Ich fahre dem Küstenradweg folgend nach Rostock. Dort eiere ich durch Stadt und über Promenaden hin zum Hafen. Dieser ist gut besucht, da vor Ort ein Kreuzfahrtschiff liegt und sämtliche Touristen dieses bestaunen. Für viele ist es wahrscheinlich ein Traum, einmal im Leben mit so etwas mitzufahren. Für mich ein absolutes No Go. Erstens möchte ich nicht eingesperrt sein in einer schwimmenden Stadt und zweitens, noch wichtiger, sind Kreuzfahrtschiffe für mich so ziemlich das Sinnloseste und Umweltschädlichste, was es auf der Welt gibt. Ich verstehe nicht, warum man sich freiwillig in so etwas einsperren lässt. Aber Geschmäcker sind verschieden... Ich persönlich muss auch mehr oder weniger freiwillig mit einer kleinen Fähre übersetzen, um meine Tour fortsetzen zu können. 

 

Auf der anderen Seite angekommen radele ich weiter den Küstenradweg entlang. So geht es ab jetzt kilometerlang. Links die Dünen und dahinter der Strand. Auf der rechten Seite wechseln sich Hotels, Wald und kleine Dörfer ab. Nachdem ich feststellen muss, dass unterwegs das Kaltgetränke nicht unter vier Euro zu haben sind, entscheide ich mich dafür, nicht an einem der kleinen Imbisse oder Restaurants zu halten, sondern suche mir den nächstgelegenen Supermarkt, um mir dort ein alkoholfreies Weißbier zu kaufen. Zu meiner Überraschung finde ich veganes Mett von Rügenwalder. Das muss neu sein, und ich will es probieren. So sitze ich kurz darauf an einer Düne mit Blick auf den Strand und esse Mettbrötchen. Und was soll ich sagen...? Mega! So rockt der Osten ;) Hätten die ein Lied über Mett an der Ostsee gemacht, hätte das mehr Sinn und Inhalt gehabt. Weiter geht die Reise. Schon vor zwei Tagen hatte ich überlegt, Freunde zu besuchen, die ich schon seit 7 Jahren besuchen will. Problem ist, das ich aufgrund eines Handywechsels keine Nummer von ihnen mehr besitze. Ich weiß nur, sie betreiben ein Café in Prerow. Und das liegt eh auf dem Weg. Als auf dahin. Ich folge der Küstenlinie über den Darß Richtung Zingst. Prerow entpuppt sich als wunderschönes kleines, jedoch auch sehr touristisches Städtchen. „Am Kiek in“, so lautet der Name des Cafés, das meine Bekannten Nancy und Timo gehört, laut meines letzten Wissensstandes. Aber ich muss feststellen, dass Nancy hier nicht mehr Besitzerin ist. Ich bekomme allerdings die Information, dass die beiden ein anderes Café besitzen, das gar nicht weit entfernt ist.

 

Mit der Wegbeschreibung im Gepäck mache ich mich auf den Weg dorthin. Es ist ein kleines, traditionelles gebautes Haus, mit Reetdach und bunt angemalt. Ich parke mein Fahrrad und frage mich zu Nancy durch. Die staunt nicht schlecht, als ich im Café stehe. Die Freude beiderseits ist groß. Wir setzen uns, ich bekomme einen Kaffee und wir quatschen. Da Nancy die Chefin des Cafés ist, ist ihre Zeit jedoch begrenzt. Sie lädt mich allerdings für den Abend zu sich und Timo nach Hause ein. Ich überlege zwar kurz, entscheide mich aber dafür, die Einladung anzunehmen. Wir verabreden uns für den Abend bei ihnen. Die Zeit bis dahin will ich nutzen, um mir noch Zingst anzuschauen. Also finde ich mich kurze Zeit später auf dem Radweg nach Zingst wieder und strample der Ostseeperle entgegen. Schnell muss ich jedoch wieder einmal feststellen, dass mir solche Touristenort zuwider sind. Zu viele Menschen, zu teuer und zu aufgesetzt ist es mir hier. So halte ich mich nicht unnötig lange hier auf und beschließe über den Bodden zurückzufahren und danach nach Wiek zu Nancy und Timo. Die Fahrt am Bodden ist deutlich entspannter als auf dem Küstenradweg und landschaftlich gefällt es mir auch besser. Ich durchfahre kleine, ruhige Dörfer ohne viele Touristen und gelange über kleine Radwege nach Wiek. Ein gemütliches kleines Ostseedorf mit einem wunderschönen Kinderstrand. Hier gefällt es mir wirklich. Timo und Nancy erwarten mich bereits und haben sogar gekocht. Ich werde aufgenommen und wie ein Familienmitglied behandelt. Wir quatschen lange und lachen viel. Nancy verabschiedet sich mit dem Sohn der beiden irgendwann ins Bett und ich bleibe mit Timo noch eine ganze Weile hängen. Wir arbeiten jeden Winter zusammen in der Snowboardschule in Oberwiesenthal und haben mehr als genug Gesprächsstoff für mehrere Abende. Aber irgendwann gehen auch wir schlafen. Zumal Timo früh wieder arbeiten muss. 

95 km und 700 Hm.


21.06.22

 

Ich erwache früh im leeren Haus. Alle sind schon los zur Arbeit. Die beiden hatten mir gesagt, ich solle die Tür einfach hinter mir zu ziehen. Und falls ich Bock hätte, könne ich gern noch zum Frühstück ins Nancys Café kommen. Ich nehme das Angebot gern an und begebe mich auf den Weg dahin. Im Café angekommen bekomme ich ein spitzenmäßiges veganes Frühstück serviert. Nancy schenkt mir obendrein noch eine halbe Stunde ihrer wirklich kostbaren Zeit und gesellt sich zu mir. So können Tage gern öfter beginnen. Mit netten Menschen und gutem Essen. Nichts destotrotz muss ich kurz darauf los, um mein heutiges Tagesziel zu schaffen. Aber so spektakulär wird die Reise heute nicht. Ich will nur bis Barth radeln, dort in den Zug steigen und mit diesem bis Sassnitz fahren. So ist der Plan und diesen gehe ich genau so an. Ich verabschiede mich und fahre los. Ganz gemütlich radele ich bis Barth, genehmige mir dort noch einen Espresso und steige danach in den Zug. 

Eine Stunde später erreiche ich Sassnitz. Hier will ich kurz einen Blick auf die Kreidefelsen erhaschen, um danach weiter nach Binz und Seelin zu fahren. Also radele ich hinauf zu den Aussichtspunkten, von wo aus man einen fantastischen Blick auf die Felsen hat. Dabei muss ich unzählige Warn- und Verbotsschilder missachten, um mit dem Rad dort hinzugelangen. Aber das kann ich recht gut. Der Preis für meine „Kühnheit“ ist ein fantastischer Ausblick auf dieses Wahrzeichen der Insel. 

 

Nachdem ich diesen Punkt abhaken kann, mache ich mich auf den Weg weiter nach Binz. Über unerwartet bergiges Gelände verläuft der weitere Weg entlang der Küstenlinie. Dabei passiere ich Prora, einen 12 Kilometer langen, jetzt zum Großteil sanierten Gebäudekomplex, welcher im dritten Reich und auch heute wieder als Urlaubsdomizil bekannt war und ist. Mir persönlich stellt sich allerdings wieder einmal die Frage, wer sich im Urlaub freiwillig in so etwas „einsperren“ lässt. Aber anscheinend gibt es genügend, die auf Urlaub in der „Platte“ stehen, denn der Ort ist recht gut besucht. Naja, Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Apropos Geschmack, mir wäre jetzt nach einem Kaltgetränk. Es ist nicht mehr weit bis Binz, und so beschließe ich, mir ein solches dort zu genehmigen. Allerdings muss ich schnell feststellen, dass Binz ein absolutes Touristenmoloch ist. Für mich der Horror. Ich schlängele mich auf der Promenade vorbei an „Camel Activ“-Rentnern, „Hugo Boss“-Snobs, „Camp David“-Hipstern und „Engelbert Strauss“-Fetischisten. Die Promenade ist auf gut deutsch einfach brechend voll. Alle machen entweder Bilder von der Seebrücke, essen Fisch oder trinken überteuerte alkoholische Getränke. Ich verwerfe meinen Plan mit dem Kaltgetränk. Aber König Zufall kommt zu Hilfe. Bei mir melden sich Thom und Andrea, Freunde aus der Heimat, mit denen ich tags zuvor geschrieben hatte, da diese auch gerade auf der Insel sind. Und heute haben sie Zeit. Also verabreden wir uns zum Essen in Seelin, meinem heutigen Tagesziel. 

 

Also schnell raus aus diesem überlaufenen Ort und auf nach Seelin. Sind ja nur fünf Kilometer. Doch diese fünf Kilometer sind nicht ohne. Es geht auf und ab. Alles auf grobem Kies und obendrein ist es scheiße warm. Zwei Kilometer vor Seelin passiert es. Peng ... Platten! Na klasse, 596 Kilometer ohne und dann kurz vor dem eigentlichen Ziel so etwas. Noch dazu kommt, dass ich hier im Mückenparadies gelandet bin und auf deren Abendkarte heute das Jörg B.- Filet steht. Während meiner „Flickarbeiten“ werde ich förmlich aufgefressen von Mücken. Vorbeifahrende E-Biker und ihre dämlichen Kommentare bringen mich echt in Rage. Ich fluche und schimpfe wie ein Rohrspatz, auch wenn das absolut nix bringt und mich nicht eine Mücke weniger sticht dadurch. Allerdings ist die Zeit, in der ich den Schlauch gewechselt habe, Formel 1-Boxenstopp verdächtig. Schnell alles wieder zusammengepackt und dann zügig, aber mit Vorsicht auf zum Abendbrot mit Thom und Andrea. 

Wir treffen uns an einem Parkplatz in der Nähe des Zentrums. Die Freude ist groß. Und natürlich müssen wir das mit einem Kaltgetränk entsprechend feiern...oder auch mit zwei. Wir suchen uns ein nettes Restaurant in der Nähe und versacken im Gespräch. Ich mag die beiden sehr und kenne sie schon ewig. Egal, wie unterschiedlich wir manchmal sind, so einig sind wir uns bei wichtigen Sachen. Und das seit über 30 Jahren. Einige Kaltgetränke später müssen wir uns allerdings auch schon wieder verabschieden. Die Zwei treten ihre Heimreise an und ich muss jetzt noch Justus, den Bräutigam der morgigen Hochzeit, ausfindig machen. Schließlich bin ja genau deswegen hier. Aber das ist schnell erledigt. Und so sitze ich kurz darauf mit dem zukünftigen Brautpaar und ihren Freunden in einer Ferienwohnung und halte erneut ein Kaltgetränk in meiner Hand. Man kann sich ausrechnen, wie der Abend wohl enden wird... Fakt ist, das ich am ersten Ziel dieser Reise bin und jetzt erstmal zwei Tage nicht aufs Rad steige.  75 km und 780Hm

 


22.06.22 

 

Hochzeit. Ich will hier gar nicht viel über die Hochzeit schreiben, da dies Privatsache des Brautpaares ist. Was ich schreiben kann, ist, dass es eine superschöne, sehr lustige und definitiv nicht spießige Hochzeit war, welche sich bis in die frühen Morgenstunden zog. Mit dem Ergebnis, dass ich selbst irgendwo auf einem Sofa aufgewacht bin. Dementsprechend verschiebt sich meine Abreise. Ich muss heute noch bis Stralsund radeln, wo morgen mein Zug nach Münster geht. Ich schaffe es tatsächlich, gegen 15.30 Uhr loszufahren. Etwas holprig und gemach strampele ich einmal quer über die Insel. Ich passiere ein paar wunderschöne kleine Buchten auf der Boddenseite der Insel. Hier ist es deutlich schöner als auf der Touri-Seite der Insel. Danach folge ich dem Radweg nach Stralsund. Ich passiere noch die Ostseebrücke, welche die Insel mit dem Festland verbindet. Und dann bin ich auch schon an meinem Ziel. Stralsund. Kurz frisch machen, einkaufen, was essen und dann war es das auch für heute. Ich lege mich schlafen, denn morgen früh um sieben geht bereits mein Zug nach Münster, wo ich als Fotograf auf dem Vainstream Festival tätig sein werde. Und das wird sicher mega.

 


Nachtrag

 

Was für eine schöne Reise. Münster und das Festival waren stark. Mein bisher größtes Festival, auf dem ich Bilder machen durfte. Obendrein hab´ ich viele Bekannte getroffen, wie meine Freunde von Agnostic Front, deren gesamte Crew, die gesamte Skateaid-Crew inklusive Titus, der mich im 68er Ford Mustang abgeholt hat. Und natürlich Cori, eine gute Freundin und ein ganz toller Mensch. Ein unvergessliches Wochenende, und zu schade, um nicht noch das ein oder andere Bild hier anzuheften. 

 

Kuckuck

 

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